Die Gematik entwickelt ein Konzept für eine elektronische Patientenakte (ePA) nach dem Opt-out-Prinzip.
Das haben die Gesellschafter der mehrheitlich bundeseigenen Digitalisierungsagentur gestern Abend beschlossen, nachdem das Bundesgesundheitsministerium (BMG) der Gematik entsprechende Vorgaben gemacht hat. Noch in dieser Legislaturperiode soll die ePA als eine Opt-out-Lösung funktionieren: Demnach sollen die Krankenkassen für alle ihre Versicherten automatisch Patientenakten einrichten, wogegen diese aktiv widersprechen können.
Wie genau dieser Widerspruch funktionieren wird, steht allerdings noch nicht fest. „Das sind genau die Punkte, die wir in der Konzeptionsphase entwickeln“, erklärte Susanne Ozegowski, Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation im BMG, dazu heute bei einer Fachtagung des Handelsblatts. Möglich wären ihr zufolge beispielsweise eine formale Erklärung gegenüber den Krankenkassen als Trägern der ePA. Alternativ könnte es ein Verfahren sowie bei den Ad-hoc-Berechtigungen geben, bei denen Patienten bei einem Praxisbesuch durch PIN-Eingabe ihre Zustimmung erteilen könnten.
Im Rahmen des Prüfauftrags für eine Opt-out-ePA soll die Gematik vier wichtige Opt-out-Dimensionen prüfen: die Bereitstellung der Akte für alle Versicherten, die Zugriffsrechte aller Leistungserbringer im Behandlungskontext, ihre Befüllung durch die behandelnden Leistungserbringer und die automatische Weitergabe pseudonymisierter Daten zu Forschungszwecken. „Wir haben der Gematik Leitplanken gegeben“, sagte Ozegowski und sprach sich dabei für eine Generalzugriffsklausel aus: Im Behandlungskontext müsse sichergestellt sein, dass jeder Leistungserbringer automatischen Zugriff auf die ePA-Daten habe, ohne dass der Patient sich habe zuvor erst ausführlich mit dem Zugriffsmanagement auseinandersetzen müssen.
Auf weitere grundlegende Änderungen haben die Gematikgesellschafter auch bei der elektronischen Patientenkurzakte (ePKA) und dem elektronischen Medikationsplan (eMP) geeinigt: „Die Gematik berücksichtigt in diesen Konzeptionsüberlegungen, dass ePKA und eMP als strukturierte Datensätze in der ePA integriert werden sollen“, heißt es in dem Beschluss. Die Gematik soll demnach in Abstimmung mit den Gesellschaftern nutzbringende und mehrwertstiftende Anwendungsfälle identifizieren, die im Rahmen der Opt-out ePA umgesetzt werden können. Nach Aussage Ozegowskis geschah auch das auf Geheiß des BMG: Die bisherige Trennung „macht eigentlich keinen Sinn“, erklärte sie. „Wir haben deshalb der Gematik gesagt, sie muss davon Abstand nehmen, das getrennt zu betrachten.“
Grund für den Kurswechsel ist das bisherige Scheitern der ePA. Beim bisherigen Opt-in-Konzept müssen sich Versicherte bei ihrer Krankenkasse für eine ePA registrieren, um sie angelegt zu bekommen. Die Folge: Weniger als ein Prozent der 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland haben eine ePA. „Das heißt, sie spielt keine Rolle in der Versorgung, sie ist nicht im Alltag angekommen“, erklärte Ozegowski. Auch Gematik-Geschäftsführer Markus Leyck Dieken räumte ein, bisher auf das falsche Pferd gesetzt zu haben: „Wir haben am Anfang geglaubt, Opt-in wäre eine gute Lösung mit ausreichender Datenhoheit der Versicherten“, sagte er bei derselben Veranstaltung. Ein Blick in andere Länder habe jedoch gezeigt, dass „Opt-in die schlechteste aller Lösungen ist“, da sie die Gesellschaft spalte. Wohlhabendere, jüngere und gebildetere deutsche Muttersprachler würden dann nachweislich mehr profitieren als ärmere, ältere Menschen mit geringerem Bildungsniveau oder Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Quelle: Ärzteblatt